Oft finden wir uns in unfrei gewählten medialen Umwelten und so auch in Situationen der Überforderung wieder. Die komplexen medialen Umwelten, Resultat der zunehmenden Technologisierung und des daraus resultierenden unablässigen Überflusses an Wissens- und (Un-)Sinnangeboten, stellen uns nicht erst seit heute vor enorme Herausforderungen. Mechanismen und Angebote der Vereinfachung werden so produktiv und attraktiv.

Viele politische Wirkformen beziehen sich auf Verkomplizierungsmuster der modernen Welt, um darüber jene Mechanismen der Vereinfachung besonders verführerisch zu gestalten.

Wir gehen davon aus, dass sich mit dem Konzept „Okzidentalismus“ derzeit besonders viele Verfahren der Vereinfachung beschreiben lassen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie umspannende Weltverhältnisse im Sinne von symbolischen Geographien adressieren. Wie realisieren sich diese Verfahren der Vereinfachung in medialen Sphären? Das ist die zentrale Frage, die uns bewegt. Ihr gehen wir nach, in dem wir das filmische Werk eines Regisseurs analysieren, der seine Filme als Teil eines umfassenden religiösen und politischen Programms verstand: Es handelt sich dabei um Yücel Çakmaklı, den Begründer eines islamisch-turkistischen Kinos, das er in einem Manifest 1964 in der islamischen Zeitschrift Tohum das Millî Sinema („Nationales Kino“) nannte.

Yücel Çakmaklı (*1943-2009), Quelle: tsa.org.tr/en

Die Dichotomisierung von Eigenem und Westen steht im Mittelpunkt der Untersuchung der filmischen Verfahren im Oeuvre des 2009 verstorbenen und von konservativen Kreisen bis heute verehrten Regisseurs. Seine Filme legen bis heute die Grundsteine für audiovisuelle Produktionen wie beispielsweise die ideologisch umstrittenen aber international erfolgreichen Historienserien aus der Türkei „Resurrection: Ertuğrul“ (2014-2020) oder „Establishment: Osman“ (2019-heute).

Die Karte des Piri Reis, Quelle*

Am Ende des Projekts wollen wir Kategorien bestimmt haben, die im Oeuvre des Regisseurs immer wieder auftauchen und für eine Bestimmung der Mechanismen der Vereinfachung hilfreich sind. Dass mit der Untersuchung des filmischen Schaffens des Regisseurs gleichzeitig ein filmkulturhistorisch wichtiger Beitrag für transkulturelle und transdisziplinäre Forschungsarbeiten gelegt wird, ist ein Nebeneffekt des gesamten Forschungsprojekts, das das erste wissenschaftsinstitutionell geförderte Forschungsprojekt in Deutschland zum dezidiert türkischen Film und seiner Geschichte ist.

* Piri Reis – Library of Topkapi Palace Museum, No. H 1824 Bilkent University, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=345064